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06.02.2012

Ein getriebener wie Rio Reiser

Der Hamburger Sven Panne nimmt das Publikum am Ebersberger Klostersee mit auf eine Reise durch sein Inneres

 

Der Mann, der auf einer Bierbank des Kreisjugendrings am Ebersberger Klostersee sitzt, kommt aus der alternativen Szene, das sieht man. Er trägt schwarze Turnschuhe, Jeans, einen dunklen Kapuzenpullover und eine braune Cordjacke. Vor ihm steht ein Becher Bier und aus der Jackentasche ragt eine Zigarettenschachtel. Sven Panne aus Hamburg gibt an diesem Samstagabend im Mai in Ebersberg zum zweiten Mal sein Solo- Repertoire an Klavier- und Gitarrenstücken zum Besten. Gut gelaunt, entspannt lächelnd und mit allen möglichen Menschen plaudernd erscheint er vor Beginn des Konzerts. Doch dann sitzt er plötzlich vor seinem Klavier und der Mann verändert sich – und mit ihm und mit den ersten Tönen verändert sich die Stimmung am See.

Mit nur wenigen Akkorden beginnt für die Zuhörer eine Reise in die tiefsten emotionalen Welten des Künstlers. Wer die Fotografie von Karl Valentin kennt, wie er verkrampft, spindeldürr mit einem Akkordeon die ambivalente Schönheit der Kunst propagiert, der kann sich vorstellen wie Sven Panne durch seine eigene Musik vereinnahmt wird und wie die Kunst sein Innerstes nach außen kehrt.

Er wirkt gehetzt, gequält, von Emotionen durchdrungen. Jeder Ton, jeder Schrei, jedes gehauchte Stückchen Glück lässt die Zuhörerschaft nur erahnen mit wie viel Herzblut und Verzweiflung, mit wie viel Hoffnung dieser Mensch Musik macht.

Für Panne scheint es keinen Unterschied zu machen, ob er vor 1000 Menschen spielt oder allein am alten Klavier seiner Eltern sitzt. Er erlebt seine Musik mit dem ganzen Körper. Seine Beine stehen niemals still, sie tanzen. Manchmal zieht er die Knie bis zum Brustkorb hoch um mit dem nächsten Akkord wieder in Veitstanz ähnliches Stampfen zu verfallen. Sein Gesicht verzerrt sich, als hätte er höllische Schmerzen, wenn er singt: „Mein Herz brennt, meine Seele brüllt und kein Herbstwind der mich kühlt.“

Der Wahlhamburger, der aus Frankfurt stammt, ist in Bewegung, ständig, das spürt man. Gnadenlos hetzend, ein kleines Stückend Frieden suchend, die Liebe verachtend und dennoch von Zärtlichkeit bis zum bersten gefüllt. Bei Panne gibt es aber keinen Frieden, auch wenn die Harmonien des Klaviers dies am Schluss der Stücke erahnen lassen. Da lösen sich die Spannungsbögen in wohligen Kadenzen wieder auf, da finden die Bassläufe zurück in den Hafen. Doch: „Sie heilt keine Wunden – die Zeit. Sie löscht keine Feuer – die Zeit!“ Und trotzdem bereitet diese Musik den Boden für Hoffnung und Mut, für Energie und den Wunsch nach Veränderung.

Vielleicht ist dies der Grund, warum er immer wieder mit Rio Reiser verglichen wird. Nicht die kratzende Energie geladene Stimme oder das melodiöse Punk- Rock- Piano belegen eine Verwandtschaft mit dem Lyriker der frühen Hausbesetzerbewegung, sondern eher der Wunsch nach Übereinkunft und Respekt, der sich nach eineinhalb Stunden Konzert beim Zuhörer einstellt zeugen davon, dass hier ein politischer Mensch wie Rio Reiser auf der Bühne sitzt. Pannes Musik ist nicht politisch, sie ist sogar in angenehmem Maße unpolitisch, auch wenn er in seinen oft ironischen Zwischenansprachen keinen Hehl daraus macht woher er kommt und wohin er geht. Waldbesetzungen gegen Autobahnbau, Konzerte gegen die Schließung autonomer Jugendzentren, Drogen und bewusste Seinserweiterung. Seine Lieder und Texte aber erzählen einen ganz anderen Kampf. Der Kampf um sich selbst.

Gegen 22.00 Uhr ist Schluss. Licht an. Der Traum  ist aus! Nicht ganz, ein Letztes geht noch. Panne singt noch ein spätes Rio Reiser Lied. Wie sollte es anders sein eines von denen die suchen und fragen: „Wer von uns weiß noch, welchen Weg er geht? Wenn ein neuer Tag kommt, ist nichts, wie es einmal war.“

 

veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung Redaktion Ebersberg am 31.Mai 2010